Montag, 15. Juli 2002

Brückenschlag zwischen Alt und Neu

Stammhaus der Nassauischen Sparkasse:
Architekten Kissler + Effgen, Wiesbaden

Banken schmücken sich gern mit ihrer jahrhundertelangen Tradition. Genauso gern betonen sie ihre Zukunftsorientierung und Innovationskraft. Schön, wenn sich solche Schlagworte - wie bei der NASPA-Zentrale - auch in der räumlichen Gestaltung widerspiegeln und für den Kunden erlebbar werden.

Baubeschreibung
Äußerlich wirkt das langgestreckte Bankgebäude durch seine verputzte Fassade im Rundbogenstil recht unspektakulär. Durch den restaurierten Eingangsbereich im Mittelrisalit gelangt man in die neue, 970 Quadratmeter große Kundenhalle. Hier stehen sich Alt und Neu selbstbewußt gegenüber. Sie sind durch eine gläserne Dachkonstruktion und zwei Stege miteinander verbunden und durch kontrastierende Materialien klar voneinander unterschieden.

Aufmerksame Betrachter können anhand von Grundrißform und Fassadenabwicklung die Baugeschichte des Gebäudekomplexes ablesen, der im Laufe von mehr als einem Jahrhundert zu einer großen Dreiflügelanlage angewachsen ist: Der erste Bauabschnitt, das Eckgebäude mit dem halbrunden, freitragenden Treppenhaus von 1863 (Arch. Richard Goerz), wurde 1916, der ursprünglichen Konzeption entsprechend, vom Kölner Baumeister Carl Moritz an der Rheinstraße zu einer symmetrischen Anlage mit repräsentativer zentraler Eingangssituation ergänzt. 1982 folgte ein weiterer Bauabschnitt, bei dem der Innenhof mit einer eingeschossigen Kundenhalle und darüberliegenden Quertrakten überbaut wurde.
Der aktuelle Umbau macht die Eingriffe des letzten Bauabschnittes teilweise rückgängig. Zwischendecke und Quertrakte im Hof sind abgebrochen worden; ihre Lage läßt sich nur noch durch den Zuschnitt der Öffnungen in der Altbaufassade erahnen. Ein sinnvoller Eingriff, bei dem die ursprüngliche Gebäudestruktur wieder herausgearbeitet und Raum für die großzügige und lichtdurchflutete Kundenhalle gewonnen wird.

An der Brandwand zum Nachbargebäude ist ein dreigeschossiger, einbündiger Bürotrakt entstanden, der über den Innenhof belichtet und belüftet wird. Dahinter schließen sich, um einen begrünten Innenhof gruppiert, Nebengebäude mit der Cafeteria und weitere Räume ohne Publikumsverkehr an.

Formensprache
Die Formensprache des Neuen ist zeitgemäß und sachlich. Ihre Verwandtschaft mit dem massiven Altbau offenbart die Skelettkonstruktion durch Beibehaltung des menschlichen Maßes, rhythmische Reihung von Elementen und horizontale Betonung der Geschoßteilung. Umbau und Erweiterung bestechen durch präzise und optisch wie haptisch ansprechende Details.

Ein vorbildlicher Umbau also, der in Fachkreisen ebenso auf positive Resonanz stößt wie bei den Mitarbeitern und Kunden der NASPA. Grund genug, sich mit den Planern und deren Arbeitsweise auseinanderzusetzen:



Architekten
Aus dem 1997 von der NASPA durchgeführten Wettbewerb ging das Büro Kissler + Effgen als Preisträger hervor. Die Entwurfshaltung der an der TH Darmstadt ausgebildeten Architekten ist 'einfach': Ziel ist es, den Entwurf aus den Besonderheiten der Bauaufgabe zu entwickeln. Die Architekten betrachten Gestaltung vorurteilsfrei und rational, ohne dabei räumliche und atmosphärische Qualitäten zu vernachlässigen. Nachhaltigkeit und Werterhalt sind für sie ebenso entscheidende Maßstäbe für architektonische Lösungen wie Nutzbarkeit und Materialgerechtigkeit. Dieser Grundhaltung entsprechend legte das seit 1988 bestehende Büro seinen Tätigkeitsschwerpunkt auf das Bauen im Bestand. Nicht bei allen Projekten handelte es sich um denkmalgeschützte Substanz; dennoch bildete der sensible Umgang mit dem Vorhandenen stets eine wichtige Grundlage für den Entwurf.

Denkmalschutz
Auch im vorliegenden Fall hatte man es nur teilweise mit denkmalrechtlichen Fragen zu tun: der erste Bauabschnitt von Goertz mit seinen Naturstein-Details und dem spektakulären Treppenhaus stand unter Schutz; im übrigen war die Fassade zur Rheinstraße unangetastet zu lassen. Bei der zuständigen Denkmalschutzbehörde rannte man mit dem Vorschlag, die Gesamtanlage in ihrer ursprünglichen Konzeption wieder erlebbar zu machen, die sprichwörtlichen offenen Türen ein. Schon in der Entwurfsphase suchten die Architekten den Kontakt mit den Behörden, die das Projekt dann auch in der Antrags- und Werkplanung kontinuierlich begleiteten. In ständigem Austausch wurden sanierungstechnische Lösungen, Farbgestaltung und Materialauswahl für den Altbau erarbeitet; die Zusammenarbeit wird von den Architekten als konstruktiv und fruchtbar bewertet.

Details
Besonders aufwendige restauratorische Behandlung erhielten neben dem qualitätvollen Sandstein-Gesims zur neuen Kundenhalle insbesondere die Treppenhäuser. Hier kamen nach der Entfernung der textilen Bodenbeläge die originalen Sandstein-Blockstufen zum Vorschein. Das Sanierungskonzept für die baukünstlerischen Details erarbeitete man in enger Zusammenarbeit mit den beteiligten Handwerksfirmen.
Großer Wert wurde darauf gelegt, nicht nur den neuen Arbeitsplätzen in den Neubautrakten besondere Qualitäten zu geben. Die Büroräume im Altbau erhalten ihre Atmosphäre gerade durch die Besonderheiten des historischen Gebäudes: die originalen, aufgearbeiteten Bodenbeläge, die geputzten Wandflächen mit Sandsteingewänden und nicht zuletzt die enorme lichte Raumhöhe von 4,50m, die durch die Herausnahme der Deckenabhängungen wieder voll erlebbar gemacht wurde.

Durch die Wegnahme der störenden Quertrakte wurde die Hofseite erstmals in ganzer Länge sichtbar und zu einer Schauseite. Alte wie neu hergestellte Öffnungen erhielten eine elegante Gliederung mit schmalen Sandsteingewänden. Diese verstehen sich, wie die umlaufenden Brüstungsgesimse, als eine zeitgemäße Interpretation der traditionellen Fassadenelemente.

Die Konstruktion des Glasdachs, das Alt- und Neubau verknüpft, stellte eine ingenieurtechnische und gestalterische Herausforderung dar: Die Primärträger ruhen auf der Altbauseite auf über zwei Geschosse in das Mauerwerk eingeschlitzten Stahlstützen. Durch geschickte Wahl des Tragsystems gelang eine außergewöhnlich filigrane Konstruktion, die allen Anforderungen an Sonnen-, Blend- und Wärmeschutz, Belichtung und Belüftung, Entwässerung und Reinigung in vollem Umfang gerecht wird.

Fazit
Die Architekten Kissler + Effgen haben mit dem Umbau des NASPA-Stammhauses in mehrfacher Hinsicht Neuland betreten: Erstmals ist es hier gelungen, in einem von natürlichem Zenitlicht beleuchteten Raum die Anforderungen an Bildschirmarbeitsplätze zu erfüllen. Zugleich haben sie bewiesen, daß es möglich ist, einen Altbau in ästhetisch, technisch und denkmalhistorisch überzeugender Weise an die Erfordernisse eines modernen Bankhauses anzupassen.
an, cp

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