Sonntag, 27. Juli 2003

Werkbericht Dipl. Ing. Franz Josef Hamm

Vor der langen Baugeschichte der von ihm bearbeiteten Objekte mag das bisher 36jährige Werk eines Architekten auf den ersten Blick unbedeutend erscheinen. Allerdings fällt Franz Josef Hamms Wirken auf den Beginn einer Epoche, in der man sich in Deutschland allmählich (und vielerorts zu spät) wieder auf den Wert und das Potential historischer Gebäude und Stadtstrukturen besann.

Das überregional - nicht nur in Fachkreisen - bekannte 'Limburger Modell' zur Sanierung der Altstadt hat Franz Josef Hamm mitbegründet und geprägt. Bei einem Rundgang durch Limburg begegnet man vielen von Hamm und seinem Büro sanierten Gebäuden - behutsam an die Anforderungen der Gegenwart angepaßt und 'weitergebaut'.

Die Maßnahmen dokumentieren Respekt vor denkmalwerter Substanz und städtischem Gefüge. Sie zeigen, daß historische Bauwerke erhalten werden können, ohne die Ansprüche heutiger und zukünftiger Nutzer aus dem Auge zu verlieren. Auffällig ist auch, daß Hamm bis zu einem gewissen Punkt bewußt Verzicht auf die plakative Ablesbarkeit seiner architektonischen Handschrift übt. Deutlich wird vielmehr eine funktionale Entwurfshaltung, die sich der Tradition der Moderne verpflichtet fühlt, aber auch aus der Haltung herleitet, wie sie zur Entstehungszeit der Gebäude üblich war. In diesem Werkbericht soll Hamms funktionale Herangehensweise anhand ausgewählter Bauten dokumentiert werden.

Altes Rathaus Dausenau (Lahn): Sanierung und Teilrekonstruktion (1978-1985)
Das 'Alte Rathaus' von 1432 ist das älteste erhaltene und zugleich bedeutendste Fachwerkgebäude der Stadt Dausenau an der Lahn. Es ist zudem eines der ältesten Fachwerk-Rathäuser in Deutschland. Seine Lage auf der Stadtmauer - der Wehrgang verläuft durch den Ratssaal - ist einzigartig. Der Bau war durch jahrzehntelangen Leerstand dem Verfall preisgegeben.

Der Sanierung ging ein genaues Aufmaß voraus, aus dem die ursprüngliche Gestalt des Gebäudes mit steilerem Dach rekonstruiert werden konnte; eine verlorene Außenerschließung entnahm man einer zufällig wiederaufgefundenen Zeichnung. Aus dem schlechten konstruktiven Zustand des Daches heraus wurde die Entscheidung getroffen, dieses unter Wiederherstellung der ursprünglichen Neigung neu aufzuzimmern und das noch brauchbare Eichenholz zur Reparatur der Fassaden zu verwenden. Die Decken wurden, um den neuen statischen Anforderungen zu genügen, teilweise in Leimholz neu erstellt. Das zentrale Element des Tragwerks, eine durch alle Geschosse durchlaufende hölzerne Mittelsäule, wurde jedoch unverändert beibehalten.

Leitidee war die Rückführung des Gebäudes auf seinen konstruktiven Ursprungszustand. Viele Stütz- und Hilfskonstruktionen, die im Laufe von Jahrhunderten zerstörte Tragglieder unterstützen sollten, wurden entfernt, und statt dessen die Primärkonstruktion so weit ertüchtigt oder erneuert, daß sie dem Bau erneut die nötige Standsicherheit verleiht. So wurde das Wesen des Objektes wieder sichtbar gemacht. Die statisch und räumlich notwendigen Eingriffe (Decken, Spindeltreppe und hochwassersichere Stahlbetonwanne) sind dabei leicht ablesbar in modernen Baustoffen und Techniken, jedoch - wo möglich - mit handwerklichen Mitteln ausgeführt.

Weniger deutlich wird die Unterscheidung zwischen vorgefundenen und rekonstruierten Bauteilen bei den Elementen, die das Gebäude in seinem Umfeld verankern, namentlich der rekonstruierten Außentreppe zum Wehrgang und dem sich anschließenden neu aufgeführten Stadtmauer-Teilstück. Hier wurde auf eine Artikulation in zeitgemäßen Formen und Materialien zugunsten eines homogenen städtebaulichen Gesamterscheinungsbildes verzichtet. Hamm begründet die Rekonstruktion einerseits aus der Nutzung der Ergänzungen als Fluchtwege und andererseits als eine Wiederherstellung eines modellhaften Ausschnittes aus der Orts- und Baugeschichte.

Flörsheimer Warte: Schöpferische Rekonstruktion (1996)
Eine vollständige Rekonstruktion stellt der Bau der Flörsheimer Warte bei Wicker dar. Der Aussichtsturm war ursprünglich einer von vier rechtsrheinischen Wachtürmen der Mainzer Fürstbischöfe an der Mainmündung. Die Lage des Vorgängerbaus war zwar durch ergrabene Fundamente bekannt; der Turm selbst war jedoch bereits im 19. Jahrhundert auf Abbruch verkauft und als Steinbruch benutzt worden. Man entschied sich also, die originalen Fundamentstrukturen unangetastet zu lassen und einen kompletten Neubau in unmittelbarer Nähe aufzuführen.

Die Warte präsentiert sich Wanderern und Radfahrern auf dem Regionalparkweg Rhein-Main heute als trutziger Turm in Bruchsteinmauerwerk über betoniertem Keller und Fundamenten. Das Obergeschoß ist, anders als beim namensgebenden Bau, den man aus zeitgenössischen Stichen kennt, großzügig durchfenstert. Den Abschluß bildet ein kegelförmiger, in Titanzink gedeckter Helm.

Ziel war bei diesem Bau die Wiedergewinnung des historischen Ortes, sowohl als Veranschaulichung eines Grenzverlaufes, als auch als weithin sichtbare Landmarke in den Weinbergen um Wicker. Demzufolge ist die Fernwirkung wuchtig, fast archaisch, und nichts deutet aus der Ferne darauf hin, daß man einem Gebäude des ausgehenden 20. Jahrhunderts gegenüber steht.In den Details ist das Gebäude jedoch unverkennbar modern: Fenster- und Türgewände bestehen, ebenso wie das abschließende Kranzgesims mit den Wasserspeiern, aus industriell präzise gearbeiteten Betonfertigteilen.

Die Metallarbeiten an Treppengeländern, ein Türgitter und ein vorgelagerter 'hessischer' Löwe entstanden in Zusammenarbeit mit Barbara und Gernot Rumpf aus Neustadt/Weinstraße und bringen ein teilweise humoristisches Element in das Gebäude. Zahlreiche im und um das Gebäude aufgestellte Schautafeln erläutern die Geschichte des Ortes und verweisen auf den Neubau-Charakter des Turmes. Leider werden die originalen Fundamente dabei leicht übersehen. Bei einem Besuch konnte uns niemand den Weg dorthin weisen. So selbstverständlich markiert der neue Turm den Ort und schreibt seine eigene Geschichte, daß wohl die wenigsten Gäste der als Ausflugslokal genutzten Warte sich die Frage nach alt oder neu ernsthaft stellen.

Kapelle des Marienhofs in Limburg/Lahn: Restaurierung (1983-85)
Beim Umbau des ehemaligen Pferdestalls eines früheren Bauernhofes zum Novizenhaus der Pallottinerinnen konnte dagegen auf eine weitgehend intakte bauzeitliche Substanz zurückgegriffen werden. Durch Entfernung störender Bauteile aus den 50er Jahren und behutsame Ergänzung vorhandener Elemente (z.B. der Vordächer) konnte das Gebäude nahezu im Originalzustand wiederhergestellt werden. Größere Probleme ergaben sich aus der früheren Nutzung: Nach der Stallfunktion war das Mauerwerk durch die Toilettenanlage einer Gastwirtschaft weiter mit Nitraten belastet worden.Die Klinkerwände wurden frei vor die gereinigten Wände gestellt. Durch offene Stoßfugen im Sockel und Kopfbereich sind die Wände hinterlüftet. Auf die übrigen Flächen wurde nach der Entfernung belasteter Putze ein neuer Putz aufgetragen, dem ein Porenbildner zugesetzt war.

Von außen ist die neue Funktion durch die künstlerisch gestalteten bleiverglasten Fenster und die vor die ehemalige Stalltür gesetzte Betonscheibe mit kreuzförmiger Lichtöffnung leicht ablesbar. Letztere bildet einen kleinen Chorraum.

Im Inneren ist ein Raum von großer Schlichtheit entstanden, der meditative Ruhe ausstrahlt. Sparsame, einfühlsam gesetzte Akzente wie die Tabernakel-Nische und das Chorfenster wirken als Fixpunkte. Ausgewählte Materialien (quadratische Ton-Bodenfliesen und gelbe Klinkerwände mit Betonstürzen) sorgen für Klarheit; die geputzte Kappendecke moduliert das Licht weich.

Auch hier sorgt die Zusammenarbeit mit der Künstlerin Christine Stadler aus München dafür, daß qualitätvolle Bauplastik die Strenge mildert. So hat Hamm aus einem Zweckbau mit wenigen Eingriffen ein verstecktes Kleinod geformt, das seine profane Herkunft gleichwohl nicht verleugnet.'Aller Glanz ist innerlich', zitiert Hamm den Heiligen Augustinus, um den Grundgedanken dieser Maßnahme zu erläutern, bei der die städtebauliche Situation der dörflichen Brückenvorstadt wiederhergestellt und im Innern ein neuer Ruhepunkt geschaffen wurde.

Fischmarkt 8/9 in Limburg/Lahn: Umbau und Restaurierung (1989-91)
Eher eine Rettungsmaßnahme als eine Sanierung stellt Hamms Arbeit am Fischmarkt in Limburg dar. In die Substanz des ursprünglich allein zu bearbeitenden Gebäudes Nr. 8 war während mehrer Jahrhunderte Aus- und Umbautätigkeit in einer Weise eingegriffen worden, daß akute Einsturzgefahr bestand. Die ältesten Bauteile von 1343 mit den inneren Tragstrukturen waren ursprünglich ohne eigene Giebelwände zwischen zwei bestehende Häuser gehängt worden. Diese Bauteile waren nicht sanierungsfähig. Gut erhalten und daher wiederverwendbar waren hingegen die Traufwände der Aufstockung von 1518 und die nach Abbruch des südlichen Nachbargebäudes 1613 ergänzte Giebelwand.

Da eine Wiederherstellung der originalen Tragstrukturen weder architektonisch, noch städtebaulich möglich war, konnte eine Sicherung nur gelingen, wenn das Gebäude mit seinem konstruktiv untrennbar verbundenen Nachbarhaus als Einheit behandelt würde.Die Voraussetzung hierfür wurde durch eine Änderung der Eigentumsverhältnisse geschaffen. Nun konnte durch den Einbau eines Beton-Treppenhauses, das beide Gebäude erschließt, ein konstruktives Rückgrat hergestellt werden. Dieses bildet den tragenden Kern des Hauses Nr. 8 und verankert das Nachbarhaus, das sich, von großen Auskragungen bei minimaler Standfläche gezogen, bereits bedrohlich zur Seite geneigt hatte.

Als geeignete Konstruktion zur Wiederherstellung der unteren Geschosse kam aufgrund der geringen Grundfläche des Gebäudes allein ein Stahlskelett in Frage. Die dem Fachwerk nachempfundene Fassade aus verzinkten IPB-Profilen, die zunächst wie ein Akt schöpferischer Denkmalpflege erscheint, ist also das Ergebnis eines funktional orientierten Entwurfsprozesses. Gestalterisch wird die Maßstäblichkeit des hölzernen Fachwerkes reflektiert, die Details entsprechen jedoch konsequent den Fügungsprinzipien des Stahls. Daß die Lösung bauphysikalisch nicht optimal ist, wurde um der Grundrißökonomie willen in Kauf genommen. Das Haus Nr. 9 war, da es erst kurz zuvor saniert worden war, konstruktiv in gutem Zustand. Durch eine Verankerung mit Stahltrassen, die bei Bedarf durch Spannschlösser im Wandzwischenraum zwischen den beiden Häusern nachjustiert werden können, wurde es in seiner momentanen Neigung gegen seinen Nachbarn fixiert. So stehen die beiden Häuser in einer Symbiose wie siamesische Zwillinge, von denen keiner ohne den anderen sein kann - auch wenn dies dem Betrachter verborgen bleibt.
Die am Fischmarkt 8/9 angewandte Verbindung von maßstäblicher Rekonstruktion mit neuen Mitteln und ingenieurmäßigem Vorgehen (Statik: Helmut Ebenritter) bezeichnete Horst Thomas in seinem 1998 erschienenen Buch 'Denkmalpflege für Architekten' als beispielhaft.

Roßmarkt 15 in Limburg/Lahn: Umbau und Erweiterung (1998-2001)
Die Sanierung des Gebäudes Roßmarkt 15 ist das bislang jüngste vollendete Werk, und mit diesem Projekt hat sich für Hamm nach eigenen Worten einen Traum erfüllt. An diesem Umbau eines Fachwerkgebäudes von 1479 zu einem Wohnhaus für eine sechsköpfige Familie, an prominenter Stelle unterhalb des Limburger Schlosses gelegen, werden seine Leitprinzipien besonders deutlich.

Das Haus besitzt einen Keller, der auf einen Vorgängerbau zurückgeht. Um diesen in das Gebäude einzubinden und zugleich die zweigeschossige Wohnhalle wieder zum Mittelpunkt des Wohnbereiches zu machen, wurde dem Eingang ein containerartiger Erschließungsbau vorgestellt. Dieser dient als Windfang und nimmt eine Gästetoilette und eine Garderobe auf. Mit seiner flächigen Holzverschalung hebt er sich deutlich von der Skelettkonstruktion des Hauptgebäudes ab. Ein direkt angrenzender neuer Wintergarten mit der Treppe in den Keller ist als Aluminiumkonstruktion erstellt, die sich als moderne Interpretation der schlanken Holzprofile des Fachwerkbaus versteht. Alle Zubauten sind deutlich als modern erkennbar und einfach rückbaubar.

Die Eingriffe in die historische Fassade beschränken sich auf den Rückbau von späteren Veränderungen. Die zu einer ursprünglichen Außenerschließung über eine Galerie gehörenden Türen wurden freigelegt und dienen als zweiter Rettungsweg im Brandfall. Die Raumaufteilung bezieht sich stark auf die ursprüngliche Grundrißgliederung. Daß dabei eher viele als große Räume entstehen, versteht sich, ist aber bei einer vielköpfigen Familie vielleicht nicht von Nachteil. Die direkt in die Wohnküche übergehende Halle, in die sich das erste Wohngeschoß als Galerie einschiebt, vermittelt mit der mächtigen Zentralsäule jedenfalls noch viel vom Gefühl eines Lebensmittelpunktes.

Alle Arbeiten am Bestand wurden - abgesehen von notwendigen Sicherungen - mit traditionellen Handwerkstechniken und Materialien ausgeführt: Ausfachungen aus Ziegeln, Innenwände und Putze aus Lehm, Böden aus alten, wiederverwendeten Eichendielen, Kölner Decken mit Lehmstrich. All dies sorgt nicht nur für ein gesundes Raumklima, sondern auch für eine authentische Raumwirkung. Die zurückhaltend grau-weiße Farbfassung der Fassade ist dagegen fiktiv, denn es gab keinerlei Farbbefunde. An dieser Stelle wären Hölzer in dem für Limburg typischen Rot aber vor den über dem Gebäude emporragenden Schloßmauern wohl zu auffällig gewesen.

Im Gebäude Roßmarkt 15 mag man vielleicht die Essenz der Hamm´schen Tätigkeit in Limburg sehen: Einfühlsamer Umgang mit historischer Substanz, selbstbewußte Hinzufügung von Neuem, getragen von einer funktionalen Entwurfshaltung und einem Bekenntnis zur Reversibilität der Eingriffe durch den Architekten.
an, cp

Lebenslauf in Kürze
1936 geboren
1952-55 Lehre als Baukaufmann
1957-60 Architekturstudium Staatsbauschule Idstein/Ts.
1960-65 Mitarbeit in zwei Büros in Limburg und Wiesbaden
Seit 1965 als freischaffender Architekt (BDA und dwb) und Gutachter tätig

Auszeichnungen
1970 Rompreis der Villa Massimo
seit 1976 zahlreiche Prämierungen durch den Hessischen Heimatbund sowie durch verschiedene Städte, Kommunen und Landkreise
1982 Staatspreis für Architektur und Städtebau Rheinland-Pfalz (Anerkennung)

Seine Arbeitsschwerpunkte im Bereich der Denkmalpflege und Gebäudeerhaltung bilden die Grundlage für Lehrtätigkeiten (z.B. am Zentrum für Handwerk und Denkmalpflege in Fulda) und Veröffentlichungen.

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